Das Sprichwort “Freitag ab 1 macht jeder seins” übersetzte ich an diesem Freitag frei damit, pünktlich den Laptop zu schließen, meine Motorradsachen anzuziehen und mich auf meine BMW zu schwingen.

Viel geplant hatte ich vorab nicht, für mehr als einen Blick auf die Landkarte und die täglichen Corona Warnmeldungen blieb gar keine Zeit. Kurzerhand entschloss ich meine sieben Sachen zu packen und Richtung Nord-Ost aufzubrechen.

Der Trans Euro Trail bietet einen legale 51.000 Kilometer langen GPX Track quer durch Europa, die perfekte Basis für mich und diesen Trip. Die Strecke durch Polen bis hin in die baltischen Länder war somit genau das, was ich gesucht hatte.

Startpunkt: Nürnberg, Deutschland.
Ziel: Tallinn, Estland.

Zelt, Schlafsack, Kochgeschirr, und vieles mehr. Noch nie hatte ich so viel auf mein Motorrad geladen und bin in das Ungewisse gestartet. Ich wusste nicht, wo ich am Abend schlafen würde. Ich wusste nicht, ob ich mit meinem Motorrad überhaupt durch alle Passagen komme. Jedoch war dies keine Angst, sondern pure Freude auf das, was mich erwarten würde. Abenteuer, ich komme!

Der TET bietet 51.000 Kilometer quer durch Europa.

Eine Reise durch die Geschichte.

Dieser Trip war, unbeabsichtigerweise, auch eine Reise durch die Geschichte. Gestartet am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg führte mich der Track quer durch Polen und vorbei an zahllosen Bunkern und Raketenabschussanlagen, meist jedoch zerstört im zweiten Weltkrieg.

Weiter Richtung Osten passierte ich auch die Stadt Malbork (Marienburg) und hatte später auch die Chance die Wolfsschanze (den Führerbunker) zu besichtigen. Zahlreiche schier endlose Friedhöfe entlang des Weges verdeutlichten mir, wie heftig es in dieser Region Europas damals zuging. Manchmal war das Gänsehaut-Feeling Pur.

Willkommen im Sandkasten.

Zurück auf der HPN: Als ich den nördlichen Teil der TET (Trans Euro Trail) in Polen startete, wurde mir schnell klar, dass ein 200+kg Motorrad zzgl. Gepäck eine absolut vernünftige und gute Wahl für eine Reise in diese Region darstellt. Vorsicht, Ironie! So viel feinen und tiefen Sand hatte ich nicht erwartet, wirklich eine Herausforderung!

Den Höhepunkt hat diese Spielerei in Europas größtem Sandkasten dann in Litauen erreicht, ein Stück Hang mit ca. 10% Steigung über 100 Meter hinweg brachte mich an den Rande der Verzweiflung und Erschöpfung. Eine Stunde hatte ich es versucht und musste mich am Ende jedoch geschlagen geben, weder meine Fertigkeit noch meine Ausdauer reichten aus, um mich den Berg hinauf zu tragen.

Es hat dennoch unglaublich viel Spaß gemacht, solche Passagen gibt es bei uns in Deutschland einfach nicht. Zahlreiche weitere Möglichkeiten in tiefem Sand zu fahren sollten auf mich warten und je länger der Trip anhielt, umso schneller und sicherer wurde ich. Wie andere Fahrer jedoch mit 100km/h und mehr über den „Fesh Fesh“ in der Wüste fahren können, bleibt mir ein Rätsel.

Liegengeblieben, und das mitten im Nirgendwo.

Mittlerweile fuhr ich mit dem Motorrad bereits durch Lettland. Nach einem längeren Stück teils härterer Gangart war ich überfällig für eine Pause. Anschließend den Helm wieder auf und los geht’s. Dachte ich mir zumindest. Dem Drücken des Anlassers folgte ein leicht quietschender Hochfrequenz-Ton. Es klang, als würde ein Elektro Motor drehen. Kurzerhand griff ich zum Telefon und nach kurzem Plausch mit meinen Onkel, versuchte ich die HPN anzuschieben, erfolgreich. Aber in dieser „Wüste“ war dies kein Dauerzustand, ich brauchte eine Lösung. Kurzer Hand fiel meine Entscheidung, in die nächste große Stadt zu fahren, wo sonst würde ich wohl ein Ersatzteil ergattern können? Hier draußen ganz bestimmt nicht.

Der Tag endete für mich schlussendlich in Riga, im Hotel ‘Two Wheel’ des TET Linesmens Martins. Ich versuchte mein Möglichstes am Bike, konnte aber den Fehler nicht ausmachen. Der Anlasser tat augenscheinlich seinen Job, er hatte nur scheinbar nicht genug Kraft den Motor zu starten.

Am nächsten Morgen fand ich eine Werkstatt, 5 Minuten Fußmarsch vom Hotel entfernt, spezialisiert auf Anlasser-Reparaturen. Wie viel Glück kann man haben? Es dauerte keine drei Minuten und der Anlasser war zerlegt und der Fehler identifiziert. Eine Reihe von Zähnen im Planetengetriebe (bestehen scheinbar nur aus Plastik) haben sich komplett in Luft aufgelöst, logisch, dass hier kein nichts greift.

Der Anlasser war ein originaler Valeo, direkt vor der Abreise als Neu-Teil eingebaut. Schade, dass dies heutzutage der Qualitätsanspruch ist, aber vielleicht war es auch ein Montags-Produkt. 40 Euro und ein Ersatzteil später konnte ich zurück aufs Motorrad! Dank geht an die Firma Izdarigs in Riga für die schnelle und unkomplizierte Hilfe, ich konnte meine Reise ohne Zeitverlust fortsetzen.

5.115 Kilometer in 13 Tagen.

Regen im Baltikum? Normalerweise kann und sollte man in dieser Region jederzeit mit ausreichend Niederschlag rechnen. Nicht so während meinem Trip, ich kam ohne einen einzigen Tropfen bis zurück nach Hause. Dies hat gefühlt das Fahren im Sand etwas erschwert, jedoch erleichterte es mir im Gegenzug diesen Trip alleine durchzustehen. Wer weiß, in welchem Schlammlöchern ich sonst wohl stecken geblieben wäre.

Jeden Morgen vor Sonnenaufgang schnappte ich mir Kamera und Drohne und versuchte ein paar Momente einzufangen, während der Tee auf dem Kocher vor sich hin brodelte. Spätestens um 8 saß ich auf der BMW, meist bis Sonnenuntergang, manchmal auch noch deutlich länger.

Nachdem ich die Grenze zu Estland erreichte, nahm ich etwas Tempo raus. Ich hatte noch genug Zeit bis zur gebuchten Fähre, die mich am Ende der Reise von Litauen zurück nach Travemünde bringen sollte. So nutzte ich die Zeit für die ein oder anderen zusätzlichen Kilometer und erkundete das Land auf zwei Rädern. Auch einen Erholungstag in der Hauptstadt Estlands, Tallinn, ließ ich mir nicht nehmen.

Am Ende standen 5.115 Kilometer auf der Uhr, 13 Tage lang fuhr ich quer durch Deutschland, Litauen, Lettland und Estland. Dies war nun deutlich mehr als ursprünglich geplant, aber ich bin eher der neugierige Typ Motorrad Fahrer, frei nach dem Motto „wenn ich schon mal hier bin…“.

Zusätzlich hatte ich drei Tage abseits des Bikes, als typischer Tourist in Tallinn, die Anlasser-Eskapade in Riga und den sehr langweiligen Tag auf der Fähre, damit ich rechtzeitig montags wieder zurück am Schreibtisch sitzen konnte.

Auf einem größeren Motorrad sollte man vielleicht überlegen einen Freund bzw. eine Freundin mitzunehmen, vor allem dann, wenn ein paar regnerischere Tage bevor stehen. Mit voll bepacktem Bike durch tiefen Sand zu fahren, ist sicher auch eine gute Übung vorab, dann kommt das Erwachen nicht ganz so plötzlich wie bei mir.

@gravelscout

Das Video zu diesem Trip

GRAVELSCOUT YOUTUBE
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Berühmte letzte Worte

Anstrengend und herausfordernd, aber es hat sich vollends gelohnt.

Ich kann Jedem nur empfehlen diese Region einmal zu besuchen. Kilometerlang entlang der Single Trails quer durch die Wälder, spaßige Schlammlöcher, ausgiebige Eskapaden im Sand und schnelle breite Schotterstraßen. Abwechslung pur, hier ist wirklich für jeden etwas dabei. Und wenn man zu allem Überfluss selbst mit dem Moped durch den Fluss muss, dann werden wenigstens auch die Schuhe endlich wieder sauber…

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