Lebenstraum, ein spannender Trip durch die russische Förderation
Im Winter 2017/2018 tat sich eine Gelegenheit auf, sich den Traum einer großen Fernreise auf unseren alten BMWs zu erfüllen. Früher hatte ich oft über eine Südamerikareise nachgedacht. Doch je mehr ich über die Ausgestaltung einer solchen Reise nachdachte, desto attraktiver fand ich den Gedanken, die Reise mit den Motorrädern zu Hause zu beginnen und dann auch wieder auf eigener Achse zurückzukehren. Dieser Wunsch ließ sich mit Südamerika natürlich nicht vereinbaren. So kam dann schnell Faszination über eine Fahrt entlang der ehemaligen Seidenstraße von Deutschland aus bis in die Mongolei und wieder zurück auf. Der geeignete Reisepartner war mit meinem Bruder schnell gefunden, es brauchte nicht viel Überzeugungsarbeit.
Die Reise sollte uns durch Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien, Bulgarien, Türkei, Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan, Kasachstan, über den Zipfel Russland in die Mongolei und von dort aus wieder zurück nach Russland an den Baikal See führen. Von dort sollte die Reise bis Moskau auf der transsibirischen Eisenbahn weitergehen. Ab Moskau wieder auf eigener Achse durch Lettland, Litauen und Polen zurück nach Deutschland.
Aus bestimmten Gründen waren für die Vorbereitungen nicht viel Zeit. Die Reise sollte im Mai 2018 beginnen. Die eigentlichen Tourvorbereitungen starteten Mitte Januar. Daher war ich heilfroh, dass Manuel mit mir in den vergangenen drei Jahren den Umbau von einer R80/7 zu einer Reiseenduro schon realisiert hatte. Mein Bruder würde auf seiner R60/7 mit 800er Zylindern starten. In den verbleibenden dreieinhalb Monaten überholten wir die Motoren und Getriebe und passten die Gepäck- und Tanksysteme auf die großen Strecken an. Bei der Einholung der erforderlichen Visa nahmen wir eine Agentur zur Hilfe, eine wichtige Entscheidung. Das letzte Visum traf eine Woche vor Reisebeginn ein. Die verbleibende Zeit wurde mit Vorbereitungen zu Streckenplanung, Campingequipment, Kartenmaterial, GPS bzw. Sattelitentelefon, Reiseapotheke, Impfungen, Bargeldreserven etc. nicht langweilig. Die Vorbereitung war sehr intensiv und in einem kürzeren Zeitraum sicher nicht möglich gewesen. Aber es hat ja alles hingehauen…
Am 01.05.2018 schwangen wir uns wie geplant in Frankfurt auf die Motorräder. Es war ein merkwürdiges Gefühl, die altbekannte Straße nicht mit dem Ziel zu verlassen, kurz etwas in der Stadt zu besorgen, sondern jetzt einfach bis in die Mongolei zu fahren.
In den ersten Tagen hieß es Kilometer fressen. Angesichts der Tatsache, dass wir für die Reise auch „nur“ dreieinhalb Monate Zeit hatten bis wir wieder an unseren Studienorten sein mussten, war eine gewisse Zeitplanung unabdingbar. Bis Istanbul wird man nochmal kommen, dachten wir uns und bewältigten die Strecke über Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien und Bulgarien bis Istanbul innerhalb von fünf Tagen. Hier gönnten wir uns eine ordentliche Verschnaufpause und besichtigten diese wunderbare Stadt. Weiter ging es mit der Fähre nach Bursa, wo wir im Hamam kurz all den Regen und die Kälte vergaßen. Auf dem Weg durch das unglaublich warmherzige Zentral- und Ostanatolien mit einem kurzen Abstecher zum Schwarzen Meer wurde uns jedoch klar, dass all die Warnungen vor der Türkei im Mai nicht ganz unberechtigt waren. Es regnete ununterbrochen und selten gab es Temperaturen über 15 Grad. Als wir eines Abends nach Erzurum einfuhren, lag Schnee. Dafür entschädigten uns tolle Landschaften, insbesondere der Blick auf den Ararat, sowie eine Fülle an Kulturschätzen, wie z.B. das Sumela-Kloster und die historische Stadt Ani an der armenischen Grenze.
Bei der Einreise in den Iran erwartete uns die erste „echte“ Grenze. Grenzbeamte, die als solche nicht erkennbar waren, Devisenhändler, die uns für „Hilfe“ bei den Formalitäten in der Pflicht sahen, überteuerte Rial zu kaufen, Unmengen an Formularen und Zetteln, deren Inhalt wir nicht lesen konnten, und das Vorsprechen in mehreren verschiedenen Büros, deren Funktion uns nicht ersichtlich war. Immer freundlich nicken und sich der eigenen Pässe notfalls mit Gewalt erwehren, das waren die Lektionen, die uns an den zahllosen noch folgenden Grenzen gute Dienste erwiesen.
Dafür war es endlich warm! Und mit warm, meine ich eigentlich heiß. Der Temperaturunterschied von bis zu etwa 30 Grad zwischen Ostanatolien und dem Nordwestiran fühlte sich astronomisch an. Nur die Wärme der Menschen blieb auch im Iran konstant. Gleich am ersten Abend wurden wir das erste Mal von wildfremden Menschen nach Hause eingeladen. Nachdem wir in der Türkei immer dankend abgelehnt hatten, ließen wir es nun mal auf einen Versuch ankommen. Es war eine tolle Erfahrung und die Erkenntnis, dass es unseren Gastgebern fast noch mehr Freude als uns bereitete, uns zu beherbergen, vertrieb das anfängliche Unbehagen und öffnete uns für den Rest der Reise all den hilfsbereiten Menschen am Wegesrand. In einem kleinen Ort direkt am leider zu großen Teilen ausgetrockneten Urmia-See besuchten wir die Familie einer Freundin aus Deutschland. Wie herzlich wir unbekannter Weise im Familienkreise aufgenommen wurden, lässt sich nur schwer beschreiben. Es war jedenfalls – ich wiederhole mich – ein Lehrstück der Gastfreundschaft. Darüber hinaus gab es uns auch die Möglichkeit, etwas darüber zu erfahren, wie die Menschen im Iran tatsächlich leben und denken. Am wichtigsten für uns und durch viele weitere Bekanntschaften bestätigt: Jeder, den wir trafen, dürstete nach Erfahrungen und Berichten aus dem Ausland, der größte Teil der iranischen Bevölkerung erschien uns unglaublich gebildet, fast jeder hat studiert, und die Religion spielte im verborgenen Familien- bzw. Freundeskreis eine viel kleinere Rolle als man annehmen würde. Von den neu gewonnen Freunden wurden wir noch durch Tabriz mit dem umwerfenden überdachten Basar geführt bevor es für uns weiter nach Teheran ging.
Teheran war ein Kapitel für sich. Während wir uns durch den anarchischen Verkehr zu unserer Unterkunft durchschlugen, bemerkte ich ein beunruhigend lautes Klackern aus dem Ventilbereich. Um es kurz zu machen: Die Demontage der Zylinderköpfe und der Ventile im Metallhandel des Vaters des Hotelbesitzers ergab, dass ich nach dem Zylindertausch vor der Tour die Zylinderkopfmuttern und das Ventilspiel wohl einmal zu wenig überprüft hatte. Anfängerfehler. Das Setzen der Papierfußdichtung hatte zu geringes Ventilspiel zur Folge, woraufhin die Auslassventile so in den Führungen schlackerten, dass es ein Glück war, dass sie noch nicht abgerissen waren. Jetzt rannte die Zeit! Bis zur durchs Visum festgelegten Einreise nach Turkmenistan waren nur noch 10 Tage Zeit. Durch sensationelle Unterstützung von zu Hause wurden noch am selben Tag neue alte Köpfe per DHL Express nach Teheran geschickt. Wir nutzten die Zeit, um mit dem Bus gen Süden nach Isfahan zu reisen. Dort besichtigten wir diese zauberhaft orientalische Stadt und sahen das erste Mal Sanddünen. Aber nichts konnte die Gedanken von den Zylinderköpfen ablenken. Damit würde die Tour stehen oder fallen, wer sich die Karte anschaut, sieht wie schwierig es ist, ohne Turkmenistan weiterzukommen. Letztlich bliebe nur noch die unsichere Fährverbindung von Baku (Aserbaidschan) aus nach Kasachstan. Nach fünf Tagen konnten wir die neuen Teile jedoch endlich aus dem Zoll in Teheran lösen. Und als dann der Einbau gelang und wir uns wieder auf eigener Achse durch die Berge ans kaspische Meer und weiter an die turkmenische Grenze schlugen, war der Zwischenfall schnell vergessen. Das Land ist atemberaubend!
Rechtzeitig standen wir an der Grenze bei Asgabat. Die Turkmenen machten uns die Einreise noch schwerer als die Iraner. Wir ertrugen aber alle Schwierigkeiten mit stoischer Ruhe. Waren wir doch glücklich, überhaupt ein Transitvisum (5 Tage) für Turkmenistan ergattert zu haben. Wie wir im Laufe der Reise erfahren sollten, gehörten wir damit zu einem kleinen Kreis von „Auserwählten“. Die Einfahrt nach Asgabat war irre. Man fährt von den Bergen runter Richtung Karakum-Wüste und erwartet ein armes, nomadisch geprägtes Land. Die „weiße Stadt“ verblüffte uns mit riesigen weiß-goldenen Bögen, Statuen, Fassaden, mit klimatisierten Bushaltestellen und breiten perfekten Straßen, auf denen ausschließlich weiße glänzende Autos fahren. Eine unwirkliche Welt, die allerdings auch sofort hinter der Stadtgrenze aufhört.
Aufgrund des kurzen Visums ging es noch am selben Tag in die Wüste, um den bekannten „Feuerkrater“ Derweze noch am Abend zu erreichen. Den Abzweig von der schlaglochzersetzten Straße auf die Sandpiste Richtung Krater erreichten wir allerdings erst nachts. Im Dunkeln wühlten wir uns durch unseren ersten tiefen Sand. Mitten in den Dünen fiel die Zündung meines Bruders aus. Nachts. Mitten in der Wüste. In Turkmenistan. Nach stundenlangem hin und her Wechseln von allen möglichen zündungsrelevanten Teilen die Erkenntnis: ein zur Sicherheit eingebauter Zündunterbrechungsschalter hatte in der Hitze den Geist aufgegeben. Glück im Unglück! Der Schalter musste nur kurz überbrückt werden und die R60 brummte wieder in die nächtlichen Wüste. Die Belohnung für diese Zerreißprobe der Nerven war der Feuerschein am Horizont.
Nachts um vier erreichten wir den Krater und er erwartete uns mit dem Gefauche und der infernalischen Hitze des verbrennenden Erdgases. Nach einer kurzen Nacht – um ca. 6 Uhr wird es so heiß, dass an nichts anderes als Fahren oder Pause im Schatten zu denken ist – ging es erschöpft zurück nach Asgabat. Hier trafen wir eine am Vortag getroffene Bekannte wieder, sodass wir hautnah erleben konnten, wie wenig die glänzenden Fassaden in Asgabat zu dem Leben hinter denselben passt. Von dort aus ging es in den folgenden Tagen bis nach Türkmenabat an der usbekischen Grenze.
In Usbekistan besuchten wir zunächst Bukhara, den Aydar Ko‘l und Samarkand. Die beiden sagen-umwobenen Städte erinnern mit ihren blauen Kuppeln und uralten Moscheen aus Lehm tatsächlich den Erzählungen aus tausend und einer Nacht. Entfernt man sich aus dem historischen Stadtkern ist der sowjetische Einfluss natürlich nicht zu übersehen. Leider ist es in Usbekistan empfehlenswert (die tatsächliche Rechtslage wird wohl mehr oder weniger willkürlich ausgelegt), sich jeden Abend in einem akkreditierten Hotel polizeilich registrieren zu lassen. Das macht wildes Zelten und Aufenthalt bei Bekannten leider sehr schwierig. Mit ein bisschen Mut oder Verhandlungsgeschick lässt sich das aber organisieren. Wir haben es auch geschafft und machten daher bei Verwandten von Bekannten aus Deutschland in der modernen Hauptstadt Tashkent Halt. Neben dem tollen Aufenthalt im Kreise der Familie nutzten wir die Station um vorsorglich neue Hinterradreifen aufzuziehen, die wir bereits vorher aus Deutschland verschickt hatten.
Erholt und mit frischen Motorrädern ging es von Tashkent aus nach Süden. Noch am selben Tag überquerten wir die tadschikische Grenze. Bereits kurz dahinter begannen hohe Berge mit Schneefeldern und langen unbeleuchteten Tunneln. Irgendwie verrückt, wenn man die Wochen vorher nur die Hitze in der Wüste kannte. Von Duschanbe aus startet der berüchtigte Pamir Highway.
Wir folgen der gesamten Strecke der M41. Kurz hinter Duschanbe sind die Straßen bereits in katastrophalem Zustand. Der Straßenbelag ist oft nur noch zu maximal 10% vorhanden, was die Fahrt viel beschwerlicher macht, als auf einer normalen Schotter- oder Sandpiste. 60 km/h sind hier oft schon lebensgefährlich. Wir kommen nur langsam voran. Die Landschaften und die Gastfreundlichkeit der Bewohner der wirklich extrem entlegenen Pamir-Dörfer entschädigen uns für die Anstrengungen. Wie entlegen diese Gegend unmittelbar an der afghanischen Grenze ist, versteht man, wenn man mehrere Tage ohne Versorgung bis zum nächsten größeren Ort braucht. Hier müssen wir die größte Strecke der Reise ohne Benzinversorgung – 450 Kilometer – bewältigen. Je höher und weiter wir in das Gebirge vordringen, desto beeindruckender wird die Szenerie. Auf den Hochebenen um die 4000m über dem Meer sieht alles aus wie auf dem Mars. Die Menschen hier haben 8 Monate Winter im Jahr. Unvorstellbar, wie man in dieser kargen Gegend auch noch ohne externe Stromversorgung überleben kann. Für uns und fast alle anderen Reisenden steigert sich dieses lebensfeindliche Gefühl sicher auch mit dem Einsetzen der Höhenkrankheit. Wir haben nur ein paar Tage Kopfschmerzen. Viele hängen auch mit Übelkeit in Homestays fest. Auf dem Weg von Murgab entlang der chinesischen Grenze auf nach Kirgistan überrascht uns eine fette Bodenwelle im ausnahmsweise mal guten Asphalt. Mein Bruder stürzt heftig. Glücklicherweise ist ihm bis auf eine Schramme nichts passiert. Den Bremszylinder der Vorderradbremse, Spiegel und Scheinwerfer hat es aber mitgenommen. Wir sammeln die Reste ein und machen uns nur mit einer Trommelbremse am Hinterrad weiter auf den Weg. Kurz danach der wortwörtliche Höhepunkt: der Ak-Baital-Pass auf 4655m Höhe!
Noch am selben Abend passieren wir den kirgisischen Grenzposten und schlagen unser Zelt bei atemberaubenden Panorama mit Pik Lenin mit über 7000m im Hintergrund auf. Wieder einmal ist es das, was uns von der Anstrengung und der beißenden Kälte im Zelt auf 3750m ablenkt. Hier treffen wir auch das erste Mal richtige Nomaden. Die Ebene ist durch Jurten weiß getupft und ein Kirgise stattet uns einen neugierigen Besuch zu Pferd ab. Wir dürfen sogar kurz aufsitzen. Wir zeigen ihm die Motorräder und verstehen uns auch ohne Worte.
Endlich wieder auf normalem Niveau in Osh (Kirgistan). Eine von Ausländern betriebene Motorradwerkstadt mit hauptsächlich Yamaha XT 600 Teilen kommt uns vor wie eine Oase. An dieser Stelle war das Rally-Fahrwerk von SWT das erste Mal nicht nur angenehm, sondern notwendig. Das Original-Fahrwerk meines Bruders hat den Belastungen nicht standgehalten. Das viele Durchschlagen der Dämpfer hat die Streben des Gepäcksystems überfordert, sodass es so weggeknickt ist, dass die Gepäckbrücke das Rücklicht zerdrückt hat. Der Aufnahmebolzen für das Federbein am HAG hat sich nach unten verbogen, sodass es beinahe abgehauen wäre. Beide Dämpfer und ein Gabel-Wedi sind undicht. Mit ein bisschen Improvisation und Material aus der Werkstadt bekommen wir bis auf die Dämpfung aber alles wieder hin. Auch den Ausgleichsbehälter der Vorderradbremse gelingt es uns neu einzupressen! So geht es wieder voran.
Über die Kirgisischen Pässe und Hochebenen voll mit Jurten und Pferdeherden machen wir uns auf den Weg nach Bischkek und von dort aus weiter zum Issyk Kul. Dieser wunder-schöne See mit seinem kristallklaren Wasser und Stränden, gesäumt vom Tien Shan Gebirge ist ein absolutes Highlight. Wir wählen den Weg entlang des Südufers und reisen ganz im Osten Kirgistans nach Kasachstan ein. Nach einem einigen Reparaturen geschuldeten kurzen Zwangsaufenthalt in der überraschend modernen Stadt Almaty entscheiden wir mit Blick auf den Kalender, der kasachischen Steppe nicht allzu viel Zeit zu widmen. Wir verbringen einige harte Fahrtage auf den kasachischen Buckelpisten. Wieder bin ich heilfroh um das umgebaute Fahrwerk. Mit 80 km/h und überraschenden Bodenwellen stößt auch dieses an seine Grenzen. Mein Bruder flucht.
Endlich in Russland! Die Straßen zwischen Semei (Kasachstan) und Bernaul (Russland) sind gut, die Infrastruktur wieder deutlich besser und die Menschen sind freundlich. Für uns nach den zwar auch sehr schönen, aber doch wirklich sehr anstrengenden vergangenen Wochen fast ein bisschen Wellness. Die Entspannung kommt wahrscheinlich auch daher, dass das Altai Gebirge im Länderviereck Kasachstan, Russland, Mongolei, China grün, kühl und mit klaren Gebirgsbächen durchzogen ist.
Mit seinen Wäldern und grünen Wiesen fühlt es sich für uns heimisch an. Ein Glück, dass es uns hier so gut gefällt. Wir dürfen das Gebiet noch nicht verlassen. Wie es der Zufall will, erreichen wir die mongolische Grenze ausgerecht an Naadam, dem mongolischen Nationalfest. Die Grenze – nicht nur unsere – bleibt für die vollen fünf Festtage geschlossen. Schade, dass wir das Fest so nicht miterleben konnten. Die Zwangspause im wunderschönen Altai Gebirge tat uns aber auch sehr gut!
Am Tag der Grenzöffnung sind wir früh an der Grenze. Trotzdem zieht sich die Warteschlange aus Autos und Lastwagen schon etwa einen Kilometer. Uns scheint es so, als hätten einige vor der Grenze in den Autos übernachtet. Die Hoffnung schwindet, dass wir noch am selben Tag einreisen können. Es wird schließlich jedes Auto durchsucht etc.. Doch die Motorradfahrersolidarität besteht auch noch bzw. gerade weit weg von zu Hause. Wie sich herausstellt, waren wir nicht die einzigen Motorradreisenden, die gewartet haben. Man erzählt uns, dass Motorräder an der Grenze Vorrang hätten und wir vorfahren sollten. Einige Versuche von aufgebrachten Mongolen, uns davon abzuhalten, wurden von bestimmten Grenzsoldaten sofort unterbunden. Motorcycle travelers first! Die Russen sammeln weiter fleißig Sympathiepunkte.
Da sind wir ja schon! Unser Reiseziel: Die Mongolei! Wie wir festgestellt haben, muss man einfach nur besonders lange nach Osten fahren, um anzukommen. Eigentlich ein Kinderspiel. Eigentlich…
Wir haben einen regenreichen Sommer erwischt. Ölgii, einer der ersten mongolischen Städte nach der Grenze, finden wir überschwemmt und mit Stromausfall vor. Die Mongolen zeigen uns Bilder von schwimmenden Autos im niedriger gelegenen Stadtkern. Die heiß ersehnte warme Dusche bleibt aus. Man rät uns, es nicht mit der Nordroute zu versuchen. In den mongolischen Bergen kämen die Leute momentan noch nicht einmal mit den Geländewägen weiter. Als wir am nächsten Morgen aufbrechen, ist die von den Bergen heruntergekommene Flut schon wieder abgelaufen, die Schäden sind aber unübersehbar. Wir sind uns sicher: Wir versuchen es im Süden.
Auf dem Weg durch die Berge Richtung der Stadt Altai wurden wir durch Zufall Zeuge eines traditionellen mongolischen Fests. Es wurde gerungen, getanzt und der traditionelle Kehlkopfgesang aufgeführt. So unvermittelt, wie wir die festlich gekleideten Menschen vom Wegesrand entdeckten, so schön war das Erlebnis. Noch dazu schien es eine wirklich authentische Veranstaltung zu sein. Außer uns waren nur etwa vier andere auch zufällig dazugestoßene Touristen dort. In Zeiten von massenhaftem Kulturtourismus bin ich bei solchen Veranstaltungen sehr vorsichtig geworden. Sowohl was die Authentizität als auch was die Kommerzialisierung und damit womöglich die Zerstörung ganz eigener Kulturen und Riten betrifft.
Weiter Richtung Süden beginnt die wüstenartige Gegend. Endlose Ebenen mit nichts, das das Auge fängt. Hier trifft die allgegenwärtige Vorstellung der Mongolei als das Land der endlosen Weiten wirklich zu. Trotzdem trifft man selbst hier, wo kaum ein Grashalm steht, ca. alle 10 Kilometer eine Jurte. Das Land ist zwar unfassbar dünn, aber doch sehr konstant besiedelt. In der Mongolei ist die nächste Jurte nie besonders weit. In Altai entschieden wir uns durch das Landesinnere in den Norden zu fahren. Der Weg bis Mörön über Uliastai war beschwerlich. Hier hörten die Straßen endgültig auf und wir hatten hunderte von Kilometern Offroadpiste vor uns. Durch wüstenartige Gebiete bis zunehmend grünen, später mit Kiefern bewachsenen Hängen jagen wir durch die Landschaft. Man fühlt sich mit seinen 80 km/h auf guten Pistenabschnitten wie ein Rally Dakar Fahrer. Als im Norden der Regen wiedereinsetzt und die Pisten sich in wassergefüllte Schlaglochbänder oder schlammige Wiesenabschnitte verwandeln wird es wieder erschöpfend. Wir sind an diesem Punkt der Reise schon beinahe mit der Regenkombi verwachsen. Das ist auch gut so, denn die Temperaturen liegen oft nur noch bei etwa 10 Grad und die Sonne zeigt sich für einige Tage so gut wie nie. Hier wird eine feuchte Montur ohne Möglichkeit einer Hotelübernachtung für zwei bis drei Tage schnell zum echten Problem. In Mörön ist uns der Luxus eines festen Dachs über dem Kopf das erste Mal wieder möglich.
Nach einem kurzen Aufenthalt entscheiden wir uns, den Khovsgol Nuur ganz im Norden zu besuchen und von dort aus über kleine Orte Richtung Süd-Osten wieder auf die Hauptstraße nach Ulaanbaatar zu gelangen. Der See ist umwerfend. Kristall-klares Wasser mit Kiefernwäldern bis ans Ufer und eine allesumfassende Stille. Die Pisten um den See und von ihm weg Richtung Osten sind dagegen ungemütlich. Es gibt oft nicht mehr als eine ausgefahrene Spur, die regelmäßig auseinandermäandert, links und rechts um einen Hügel führt und sich danach wieder vereint. Eine Navigation ohne GPS erscheint uns hier fast unmöglich. Je weiter wir uns vom See entfernen, desto schwieriger wird das Terrain. Wir gelangen an mehrere Furten, die wir nur mit Mühe bewältigen. Insbesondere der Luftfilter der tiefer liegenden R60 muss mehrmals am Feuer getrocknet werden, bevor der Motor wieder anspringt. Zweieinhalb Tagesetappen Offroad vom See entfernt müssen wir aufgeben. Die entscheidende Furt durch einen Fluss ist so tief und breit, dass eine Durchfahrt selbst mit einem Truck eng geworden wäre. Wir entschließen uns, umzukehren. Nach insgesamt fünf Tagen fordernden Pisten mit Schlamm, Wasserlöchern und Furten haben wir wieder Asphalt unter den Rädern. Wie schön das doch sein kann!
Von Regen, schlechten Straßen und der letzten Woche erschöpft entscheiden wir uns, den Rat anderer Reisender anzunehmen, Ulaanbaatar nicht nur der Stadt selbst wegen zu besuchen. Der Tenor: Wer eine mongolische Stadt kennt, kennt sie alle. Wir wissen nicht, ob wir der Hauptstadt damit Unrecht taten, schlugen wir doch den direkten Weg an die russische Grenze über die Straße nach Ulan-Ude und den Baikal See ein. Kurz hinter Ulan-Ude fahren wir durch eine Kurve auf einmal der untergehenden Sonne entgegen. Der Scheitelpunkt der Reise! Von nun an geht es wieder gen Westen. Ein unwirkliches Gefühl, gleichzeitig so banal und doch erhaben.
Unsicher, wie sich der Transport der Motorräder mit der Transsib organisieren lässt, treffen wir nach einer kurzen Zeit am endlosen Baikal See in Irkutsk ein. Was aus Europa schwierig bis gar nicht zu recherchieren war, stellt sich als ein Kinderspiel heraus. Direkt am Bahnhof von Irkutsk hat eine Spedition ihr Büro, die sich auf den Motorradtransport mit dem russischen Postzug spezialisiert hat. Wir schicken die Motorräder voraus und nehmen den schnelleren Personenzug nach Moskau. Drei Nächte und vier Tage Birken und Sumpf. Schön aber langweilig. Für uns aber trotzdem eine Erholungstour, einmal die Verantwortung fürs Vorwärtskommen abgeben. Wann hat man das letzte Mal so mühelos 6500 Kilometer zurückgelegt? Und dann auch noch Richtung Heimat. Für diejenigen, die jetzt (wie ich auch schon wieder) der nächsten Reise entgegenfiebern, klingt das nach einem Frevel. Schnell nach Hause kommen wollen, ohne auch wirklich alles mitzunehmen? Niemals! Doch. Irgendwann schon.
So war es gut, dass wir in Moskau zwei Tage auf das Eintreffen der Motorräder warten mussten. Moskau ist eine unglaubliche Stadt mit gigantesken Gebäuden. Nach der Mongolei kommt sie uns wie die Zukunft vor. Moderne Hochhäuser, teure Autos, perfekt saubere Straßen und Menschen in weißen Hemden. Weiße Hemden! Uns wird klar, wie lange wir in einer Umgebung waren, in der so etwas eine absurde Idee wäre.
Zwei Tage Sightseeing sind in diesem Stadium der Reise für uns selbst in Moskau genug. Als unsere BMWs am Bahnhof eintreffen, befreien wir sie von den Holzkäfigen, bepacken sie und machen uns auf den Weg aus der Stadt. Das dauert in Moskau seine Zeit. Aber mit dem Ende der Reise vor Augen wird das Sitzfleisch geduldiger. In fünf Tagen fahren wir von Moskau über Lettland, Litauen und Polen zurück nach Frankfurt. In diesen Tagen sind wir vor allem von einem fasziniert: Ein Straßenschild und nicht mehr markiert den Grenzübergang. Während wir auf dem Motorrad die Fäuste recken, weiß jeder, was der andere denkt. Er denkt an all die Stunden, die wir mit Warten an den Grenzen verbracht haben; all die ausgefüllten Zettel, die am Ende niemanden interessierten; an all die armen LKW-Fahrer, die in kilometerlangen Schlangen im Führerhaus übernachteten. Und hier heißt die A4 sogar schon in Polen A4. Wir wissen manchmal nicht was wir haben mit der Europäischen Union. Wir fühlten uns schon in Lettland wieder zuhause im eigenen Land!
Trotzdem: ganz zu Hause ist eben die altbekannte Straße in Frankfurt, die wir vor etwas mehr als 21000 Kilometern auf eigener Achse und dreieinhalb Monaten in die andere Richtung verließen. Ankommen ist so unspektakulär. Alles beim Alten. Wir waren halt mal ein bisschen länger weg als sonst, die Motorräder sind etwas schmutziger als sonst und wir haben ein bisschen mehr zu erzählen als sonst. Aber dieses Altbekannte ist es ja gerade, was uns erst raus in die Welt und dann wieder zurück treibt.
Text: Moritz Fischer Bilder: Felix und Moritz Fischer / SWT-SPORTS
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Einfach nur klasse! Ich beneide Euch um die tolle Tour.
Wie haben sich denn die yss Federbeine bewährt? War Zündung, Lima original? Hattest Du die Entlüftung vom HAG hochgelegt?
Gruß
Frank
Sau Starker Reisebericht.
Klasse
Mfg HPMaggus
Hallo!!! Super beschreibung, schade das wir uns nicht begegnet sind. Ich bin von Österreich aus am 6. Mai 2018 über Tschechien, Polen, Letland und Litauen nach Russland gefahren. Bin über Moskau, Baikalsee nach Wladiwostok. Zurück bis fast nach Ulan Ude und hinunter in die Mongolei. In Ulaanbaatar wurde mir abgeraten nach Westen zu fahren, da durch die Regenfälle die Pisten in schlechtem zustand sein würden und so manche Wasserdurchfahrt schwierig werden könnte. Ich war ja alleine unterwegs. Daher fuhr ich nach süden in die Wüste Gobi zur Geierschlucht und wieder zurück nach Ulaanbaatar. Dann wieder nach Norden zum Baikalsee, weiter richtung Westen nach Irbit und schaute mir das Ural Museum an. Von hier nach Süden in die Ukraine, Tschernobil. Über Moldawien, Rumänien und Ungarn wieder nach Österreich wo ich am 12. Juli zu Hause angekommen bin. Ich fuhr mit einer R 100 GS bj. 1989 mit Sauer Aluminium Tank, stärkeren Federn und einer Fahrwerks Verstebung. 29.309 km.
Liebe Grüße
Rudolf
Ein ganz, ganz toller Reisebericht, das Fernweh ist erwacht!
Vielen Dank dafür!
Grüße
Jörg
Klasse!!!!